Nager / Heimtiere
Eine im Regelfalle geringe Körpergröße und relativ überschaubare Haltungsbedingungen und -kosten lassen Nager zu immer beliebteren Heimtieren werden.In ihrer natürlichen Umgebung finden diese Tiere als Hauptkomponenten ihrer Ernährung überwiegend frisches sowie getrocknetes Gras, energiereiche Körner stellen hingegen nur kurzzeitige Ausnahmen dar. Das zur Verwertung der überwiegend faserreichen Nahrung zwangsläufig erforderliche intensive Kauen führt dabei zu einem starken gegenseitigen Abrieb der Zähne, welchem die Natur im Laufe der Evolution sinnigerweise ein für diese Tierarten überlebenswichtiges,permanentes Zahnwachstum entgegengestellt hat, um die Zähne auf Funktionsniveau zu halten.Je nach Tierart und Zahnlage sind dabei über 10 cm Längenwachstum möglich!
Leider dominieren bei der Heimtierhaltung in der Fütterung dann aber oftmals Obst, Gemüse und Kraftfutter in verschiedenster Art und Form, während Heu oder Gras nur als Beifutter betrachtet werden. Diese sicher gut gemeinte aber vom Grundsatz her falsche Ernährung kann dann in vielen Fällen Auslöser für Gebißprobleme und deren weitreichende Folgen sein, da dieses zu energiereiche und rohfaserarme Futter übereine schnellere Sättigung zu weniger Kaubewegungen und somit weniger Zahnabrieb führt. Ist die normale Zahnabnutzung erst einmal gestört, resultieren infolge des permannenten Zahnwachstums schnell Fehlstellungen, Fehlbelastungen und Schmerzhaftigkeiten, denen wiederum weiterer anormaler Abrieb und veränderte Kaumuster folgen. Ohne eine zeitnahe Korrektur wird die normale Futteraufnahme zunehmend beeinträchtigt und schwerwiegende Allgemeinstörungen mit teilweise tödlichem Ausgang sind die Folge.
Bedingt durch arteigene Anatomien und Funktionsweisen der Gebisse treten unterschiedliche Erkrankungsmuster auf.Bei Kaninchen und Meerschweinchen fallen scharfe Kanten und Spitzen der Backenzähne auf (Oberkiefer wangenwärts, Unterkiefer zungenwärts), welche massive Schleimhautverletzungen bis hin zu Abszessen bewirken können. Wegen der arteigenen starken Lingualneigung neigen Meerschweinchen zur sgn. Brückenbildung der vorderen Unterkieferbackenzähne, die Zähne wachsen über der Zunge aufeinander zu und beeinträchtigen massiv deren Funktion. Kieferfehlstellungen wie die Oberkieferverkürzung des Kaninchens (Zuchtauswahl!) bewirken infolge fehlenden Abriebs ein ungehindertes Wachstum der oberen Schneidezähne in die Mundhöhle, die unteren Schneidezähne wachsen aus dem Lippenspalt vor den Oberkiefer. Umgekehrt führt die Verkürzung des Unterkiefers zum Einwachsen der unteren Schneidezähne in den Oberkiefer, die oberen Schneidezähne elongieren seitlich aus dem Maul heraus ("Elefantenzähne").Derartig veränderte Schneidezähne bedürfen einer lebenslangen, regelmäßigen Kürzung (ca. alle 4-6 Wochen) um den Tieren eine relativ normale Futteraufnahme zu ermöglichen und schmerzhafte Verletzungen zu Verhindern. Das Einkürzen dieser Zähne sollte mit den passenden rotierenden Instrumenten erfolgen, da beim Abknipsen mittes Zange die Gefahr einer Zahnfraktur und entsprechender Folgeprobleme besteht (Nerveröffnung, Entzündung und Vereiterung des Zahnfachs). Letztlich besteht auch die Möglichkeit einer Zahnextraktion. Natürlich sind die Tiere danach nicht mehr in der Lage, normal Futter aufzunehmen, Heu und Stroh muß somit in kurze Stücke geschnitten werden.Wenn neben den Schneidezahnproblemen keine weiteren Anomalien im Seitenzahnbereich bestehen, wird dieses Vorgehen im Regelfalle gut toleriert.
Nicht angelegte Zähne, Zahnausfall, die falsche Lage von Zähnen oder ungleichmäßiger Abrieb einzelner Zähne infolge Entlastung einer schmerzenden Kieferseite können zur Ausbildung eines Stufen- oder Wellengebisses führen.Antagonistenlose Zähne wachsen mangels Abrieb weitestgehend ungehindert in die Lücke des Gegenkiefers ein. Anormales Zahnwachstum ist auch in die Gegenrichtung, d.h. wurzelwärts, möglich. Im Oberkiefer kann dieses zur Verlegung des Tränen-Nasenkanals mit nachfolgendem Tränen des betroffenen Auges führen, im Unterkiefer zur entzüdlichen Kieferauftreibung im Bereich der entsprechenden Wurzelspitze. Die Entstehund eines eitergefüllten Abszeßes bedeutet eine schwerewiegende Verkomplizierung des Krankheitsgeschehens.
Um bei falscher oder fehlender Abnutzung der Zähne zügig eingreifen und schwer korrigierbare Spätfolgen vermeiden zu können, ist der Tierbesitzer angehalten, sorgfältig auf Anfangssymptome wie selektive Futteraufnahme mit der Bevorzugung von Weichfutter, eine veränderte Kotkonsistenz bis hin zu Durchfall, veränderte Kaumuster bzw. Zähneknirschen zu achten. Im weiteren Verlauf folgen Futterverweigerung, vermehrter Speichelfluß und sichtbarer Gewichtsverlust.Oftmals wird im Vorbericht dann der Verdacht geäußert, daß die Tiere vermutlich verstopft sind und keinen Kot mehr absetzen.
Beim wachen Tier kann mit Hilfe eines speziellen Spekulums eine Voruntersuchung der Schneide- und vorderen Backenzähne versucht werden. Die dazu nötige Fixation und die Zwangsmaßnahmen zur Öffnung des Maules stellen jedoch oftmals eine extreme Belastung für das Tier dar, lebensbedrohende Schockzustände können nicht ausgeschlossen werden. Wenn sich der Verdacht einer Zahnerkrankung erhärtet, sollte somit eine gründliche Untersuchung in Narkose oder zumindest Sedierung erfolgen, zumal beim wachen Tier und Sprekulumuntersuchung auch viele Probleme übersehen werden können.Tiere in gutem Allgemeinzustand sollten möglichst sofort in Narkose untersucht und natürlich auch gleich zielgerichtet behandelt werden,bei schlechtem Allgemeinzustand ist vor dem Eingriff eine Stabilisierung der Tiere erforderlich.
Meist sind Röntgenaufnahmen notwendig und hilfreich, da erst hierbei oftmals prognostisch entscheidende Veränderungen an Zahnwurzeln und Kieferknochen erkennbar werden.Gut auswertbare Röntgenbilder erfordern neben der entsprechenden Technik auch den Ausschluß von Bewegungsunschärfen und somit wiederum häufig eine Sedierung bzw. Narkose.
Die fachgerechte und zeitnahe Behandlung dieser Prozesse sollte mit geeignetem Equipment erfolgen, damit es nicht zu schwerwiegenden Folgeschäden kommt. Das Abzwicken von Zähnen mittels einer Zange birgt die Gefahr einer Zahnsplitterung, so daß rotierenden Instrumenten der Vorzug gegeben werden sollte. Die Zähne werden nach Möglichkeit auf ihre normale Länge gekürzt, Zahnspitzen entferntI.Erkrankungen der Backenzähne -vorwiegend im Unterkiefer- sind oft Ursache für die Ausbildung von Kieferabszessen, welche mit hochgradigen Entzündungen umliegender Gewebe einhergehen.Häufig werden dann knöcherne Abszeßkapseln (harte Auftreibungen) bevorzugt im Unterkieferbackenzahn- und auch -schneidezahnbereich ausgebildet. Oberkieferabszesse gefährden die Augen- und Nasenhöhle, verursachen Nasen- oder Tränenfluß sowie eitrige Bindehautentzündungen. Abszesse stellen immer ein Behandlungsproblem dar und gehen von einem oder auch mehreren Zähnen aus.Eine mögliche Abklärung erfolgt über entsrechende Röntgenaufnahmen. Sind Zähne Ursache eines Abszesses, müssen sie entfernt und der Abszeß mit medikamentellen Einlagen und/oder Spülungen zur Ausheilung gebracht werden.Die Behandlung ist aufwendig und langwierig sowie prognostisch vorsichtig zu beurteilen.
Nach Behandlungsabschluß werden die Tiere medikamentell versorgt. Häufig ist auch noch einige Zeit Zwangsfütterung erforderlich. Wichtig ist die Bereitstellung artgerechten Futters, um einen möglichst optimalen Zahnabrieb zu erreichen.
Turnusmäßige Kontrollen und ggf. Folgekorrekturen sind anzuraten, da die einmal bestehende Zahnfehlstellung durchaus zu Rezidiven neigt.
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